Auch wir von EKiB sind wüten über die geplante Verschärfung des Polizeigesetezs in Baden-Württemberg. Als klimagerechtigkeitsbewegte Menschen, die immer über den Tellerrand von klima- und umweltschutz hinausschauen wollen, müssen wir die aktuellen Entwicklungen in unsere Kritik miteinbeziehen. Daher haben wir auf der Demo gegen das Polizeigesetz und Polizeigewalt am 05.07.2020 folgende Rede gehalten, die ihr auch hier anhören könnt.
Hallo. Wir sind eine Gruppe der Klimagerechtigkeitsbewegung und wir wollen unsere starke Besorgnis über die geplante Verschärfung der Polizeigesetze in Baden-Württemberg äußern.
Unsere Kritik richtet sich erstens an den intransparenten Prozess und zweitens an die Verschärfung an sich.
Über Ersteres , sind wir mehr erschrocken als erstaunt. Viele Menschen erleben derzeit aufgrund der Corona Krise und der Kontaktbeschränkungen das Gefühl von Unsicherheit und Ohnmacht und das alltägliche Leben als Herausforderung. Während der Fokus in Zeiten einer einer derartigen Krise beispielsweise darauf liegen sollte, das Gesundheitssystem zu verbessern und allen Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, wird hier still und heimlich eine Verschärfung des Polizeigesetzes durchgewunken, von der die meisten Menschen gar nichts wissen. Der Grün-Schwarzen Landesregierung ist hier bewusste Intransparenz zu unterstellen: Informationsseiten wurden ohne Hinweise auf vergangene Inhalte einfach abgeändert und auch wesentliche inhaltliche Änderungen nicht begründet. Eine solche Handlungsweise spricht in einer Zeit, in der die Corona Krise die mediale Berichterstattung beherrscht, nicht für den Wunsch dieser Regierung, eine kritische Bürger*innenbeteiligung anzuregen. Böse Zungen könnten behaupten, dass die Krise als Mittel zum Zweck genutzt wird – spontan neue Inhalte einzubringen, denen vor einigen Monaten sehr kritisch öffentlich widersprochen wurde.
Ohne Öffentlichkeit kann es auch keinen Protest geben. Aber wir sind hier und wollen unseren Unmut nicht nur über den Intransparenten Prozess, sondern hauptsächlich auch über die Verschärfung des Polizeigesetzes an sich äußern. Der Innenminister Thomas Strobl sagte: „Das neue Polizeigesetz macht Baden-Württemberg noch sicherer“. Wir fragen: sicher vor was oder vor wem und vorallem FÜR wen? Wir befürchten, dass die Verschärfung der Polizeigesetze für viele Menschen das Gefühl von Unsicherheit verstärken und nicht etwa abbauen wird!
Die Installation von 16 Überwachungskameras im Bermuda Dreieck und der unteren Bertoldstraße ist als Pilotprojekt nur der Anfang einer zunehmenden Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Laut des neuen Polizeigesetzes wird die Videoüberwachung also auch auf Orte ausgedehnt werden, die nicht als “gefährlich” gekennzeichnet oder bekannt sind. Also könnten bald an jeder dritten Straßenecke, oder so wie jetzt schon im Bermuda-Dreieck an jeder Kreuzung, eine Überwachungskamera hängen. Ist das euer Verständnis von Sicherheit? Wir sagen Nein, im Gegenteil!
Wir befürchten, dass den Tourist*innen und Konsument*innen in Shopping Zonen und Konsum-Oasen, das Gefühl von einer kontrollierten Sicherheit suggeriert werden soll, sodass die Gewinnmaximierung von Gastrobetrieben und Läden nicht von ungewünschten oder “verdächtig” aussehenden Personen gestört werden solle. Wir finden dahingegen, dass die ohnehin schon knappen, öffentlichen Orte Freiburgs für ALLE Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt sowie für alle Besucher*innen einladend und zugänglich bleiben müssen! Es gehört zu unserem Verständnis einer pluralistischen und diskriminierungsfreien Gesellschaft, dass wir mit Unterschieden leben und oftmals Konflikte wie beispielsweise über Lärm und Unruhestiftung einvernehmlich lösen können. Dafür brauchen wir keine Überwachungskameras!
Besonders beunruhigend finden wir außerdem die Bemerkung des Innenministers Thomas Strobl, dass die (und ich zitiere) “Polizei es bei Personkontrollen im Zusammenhang mit Großveranstaltungen, die ein besonderes Gefährdungsrisiko aufweisen, leichter haben wird, potentielle Straftäter aus dem Schutz der Anonymität zu holen”. Hier ist nicht nur die Aussicht auf einen drastischen Anstieg polizeilicher Repression problematisch. Was sind polizeiliche Repressionen? Beispielsweise kann das eine Personalkontrolle im Vorfeld einer Demonstration umfassen, die einzig und allein deshalb passiert, weil ein Mensch ‚verdächtig’ aussieht. Oder die Repression umfasst die willkürliche Verhaftung auf einer Demo und die anschließende Schikane durch die PolizeibeamtInnen beim Verhör oder bei der Erkennungsdienstlichenbehandlung sein. Abhängig vom Geschlecht, der Hautfarbe und der zugehörigkeit zu einer migrantischen Gruppe werden bestimmte Personen jedoch viel krasser betroffen sein. Das Ausmaß einer solchen Tendenz ist schon heute klar am Beispiel des Stühlinger Parks zu erkennen.
Wir empfinden die Legitimierung präventiver repressiver Maßnahmen als gefährlich. Protestierende werden per se als potenzielles Risiko wahrgenommen. Was als ein “besonderes Gefährdungsrisiko” gilt, ist Auslegungssache, und im rechtlichen Rahmen nicht genau definiert. Mit dem Bilde einer “drohenden Gefahr” sollen polizeiliche Zwangsmaßnahmen gegen Menschen möglich gemacht werden, noch bevor ein konkreter Verdacht gegen sie besteht. Damit wird die “Unschuldsvermutung”, und ich sage es noch einmal, weil es wichtig und ein unverzichtbares Grundprinzip unseres rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist: damit wird ie Unschuldsvermutung einer jeden Person gezielt underwandert! Als AktivistInnen wollen wir gemäß unserer Grundrechte unseren Protest auf die Straße tragen können, ohne Angst vor Kriminalisierung unseres Protests und polizelicher Repression haben zu müssen!
Vor kurzem wurden in einem intransparenten Prozess Milliardenzahlungen an die Braunkohleindustrie beschlossen und ein Kohleausstieg vor 2038 unmöglich gemacht. Klimapolitisch ist das Kohleausstiegsgesetz katastrophal und wird unsere Proteste nicht befrieden. Wir befürchten jedoch, dass unsere Ambitionen für eine lebenswerte Zukunft und unser Widerstand gegen den Raubbau an der Natur, durch Präventivuntersuchungen massiv beeinträchtigt werden.
… Deswegen fordern wir ein Umdenken und eine strukturelle Transformation! Nein zu einer technisch hochgerüsteten und zunehmend proaktiver vorgehenden Polizei mit zu viel Macht! Ja zu Deeskalation, Kommunikation und demokratischer Kontrolle der Polizei!
Wir fragen uns: Warum beinhaltet eine Novellierung des Polizeigesetzes lediglich eine Ausweitung der Kontroll- und Überwachungsbefugnisse für PolizistInnen? Angesichts von vermehrten Berichten über Polizeigewalt und rechtsextremen Netzwerken innerhalb der Polizei stellen wir die Institution Polizei in in ihrer jetzigen Organisation und Struktur grundlegend in Frage! Macht sie uns denn wirklich sicherer? Oder bekämpft sie nur mit immer drastischeren Mitteln die Symptome, also die Kriminalität eines Systems, das zunehmend als ungerecht entlarvt wird. Um Menschen vor polizeilichem Fehlverhalten und Übergriffen zu schützen, fordern wir desweiteren die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerde- und Untersuchungsstelle, wie es sie in vielen Ländern bereits seit Jahren gibt. Polizeiarbeit muss transparent gemacht werden, um Vertrauen zu stärken.
Wir wünschen uns eine Stadt mit belebten öffentlichen Orten, in der sich ALLE sicher und frei fühlen und bewegen können. Dafür brauchen wir keine ständige Überwachung durch Kameras, Kontrolle durch patroullierende BeamtInnen, Racial Profiling und Kriminalisierung ganzer Orte! Darum: Nein zu Polizeigewalt! Nein zum neuen Polizeigesetz!